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Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

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Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon AndréG » Di 29. Sep 2015, 11:48

Hallo Zusammen

Ich bin ein ziemliches Greenhorn, was Sauerteig anbelangt.

Eine Frage, welche mich schon lange quält: Wie ist das eigentlich mit den verschiedenen Sauerteig-Kulturen? Zum Beispiel habe ich immer wieder gehört, dass der San Francisco-Sauerteig DAS Ding schlecht hin ist. Als ich mal dort war, habe ich ein bisschen von DEM Sauerteig ergattern können und habe ihn in die Schweiz "geschmuggelt". Ich finde aber nicht, dass sich der besonders von anderen Sauerteigen (Sauerteigs?) unterscheidet.

Was ist also dran? Falls jemand Zeit und Lust hat, mir das zu erklären, wäre ich extrem Dankbar.

Gruss, Andy
AndréG
 
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Registriert: Mo 28. Sep 2015, 15:00


Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon TheDailyBread » Di 29. Sep 2015, 13:00

Hallo Andy,

dann will ich mal mit meinem gefährlichen Halbwissen ganz weit ausholen.

Sauerteig ist eine symbiotische Kultur aus Milchsäurebakterien und Hefen, die sich auf einem Gemisch aus Wasser und Mehl ansiedeln. Die Hefen befinden sich, genauso wie die Milchsäure, in der Luft und siedeln sich auf dem Wasser-Mehl-Gemisch an.
Zur Gewinnung von Sauerteig gibt es regional unterschiedliche Verfahren. Manche geben ihrem Sauerteigansatz auch Joghurt oder Buttermilch dazu, um sicherzustellen, dass sich auch die richtigen Kulturen ansiedeln, aber das muss jeder für sich entscheiden.

Bei dem Abbau des Mehls, dass ja vornehmlich aus Kohlendydraten besteht, entstehen unterschiedlich lange Zuckerpolymere. Bei der Spaltung dieserr Polymere fällt Maltose an, welche von der Hefe nicht genutzt werden kann. Allerdings kann Milchsäure diesen Zucker verstoffwechseln. Dabei entsteht wiederum Glukose, den die Hefen nutzen können. Wenn Hefen Glukose abbauen, entstehen in Abängigkeit der Sauerstoffzufuhr entweder Kohlenstoffdioxid und Wasser (aerob, "normale" Zellatmung) oder aber Milchsäure bzw. Ethanol und Kohlenstoffdioxid (anaerober Stoffwechsel). Der gewonnene Ethanol wiederum kann auch weiter verstoffwechselt werden.

Falls du schon einmal einen Poolish längere Zeit abgedeckt hast stehen lassen, wirst du bestimmt festgestellt haben, dasse er deutlich an Aromen gewonnen hat. Das beruht auf dem anaeroben Glukose- und Ethanol-Abbau durch die Hefen.

Doch nicht nur die Hefen können aerob und anaerob arbeiten, auch die Milchsäure ist dazu in der Lage. Dabei gilt es drei unterschiedliche "Arten" von Milchsäurebakterien, die sich auf dem Sauerteig "niederlassen" können.
Während die Milchsäure für den säuerlichen Geschmack und die Enzymhemmung (Verhinderung von Fremdbesiedlung und längere Frischhaltung) verantwortlich sind, sorgen die Hefen für die Lockerung und den Trieb.

Obligat homofermentative Milchsäurebakterien produzieren ihrerseits nur Milchsäure (deswegen homo = gleichartig). Sie bilden allerdings kein Kohlenstoffdioxid und vertragen keinen Sauerstoff, sind also anaerob (obligat) und auf dem "Haushaltssauerteig" selten zu finden, denn es ist unmöglich einen Sauerteig in der Form vollständig vom Sauerstoff fernzuhalten. Zudem befinden sich homofermentative Milchsäurebakterien in einer sogenannten "Stoffwechselgasse", aber das nur so am Rande. Für den Hausgebrauch sind sie daher uninteressant, ich erwähne sie der Vollständigkeit halber.

Fakultativ heterofementative Milchsäurebakterien bauen Zucker zu Milchsäure und Essigsäure ab.
Fakultativ bedeutet, dass die Milchsäurebakterien sowohl aerob als auch anaerob lebenn können. Und wenn du aufmerksam gelesen hast, wirst du feststellen, dass sich Hefen ebenso verhalten. Auch Hefen leben fakultativ. Die gängigsten Milchsäuren sind Lactobacillus casei (die kennst du aus Joghurt und anderen gegorenen Milchprodukten), sowie Lactobacillus plantarum. Heterofementativ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass als Stoffwechselprodukt etwas "anderes" (hetero) enststeht als Milchsäure.

Obligat heterofementative Milchsäurebakterien arbeiten nur anaerob (wie die homofermentative Milchsäurekultur). Sie verstoffwechseln Zucker zu Milchsäure, Essigsäure und Kohlenstoffdioxid.
Zu diesen Milchsäurebakterien gehören Lactobacillus fementum, L. brevis, L. kefiri und auch L. sanfranciscensis.

Die Essigsäure entsteht aber nicht, wie vielfach behauptet wird, aus einer Essiggärung, sondern aus dem Stoffwechsel der Milchsäure.

Die gängigsten "Vertreter" im Haushalts-Sauerteig sind L. plantarum (fakultativ heterofementativ) und L. brevis (obligat heterofementativ).
Du siehst also, dass der San Francisco-Sauerteig auf der Gattung der Milchsäurekultur beruht. Die Angabe San Francisco ist also keine Ortsangabe (!) sondern die Bezeichnung der Milchsäure. Nur weil du diesen Sauerteig in SF bekommen hast, bedeutet das nicht, dass auch die von dir gewünschte Kultur darin steckt.

An dieser Stelle kann man nur mutmaßen, was du erhalten hast. Ob es jetzt genau diese Kultur ist, kann ich dir auch nicht sagen. Und ich weiß auch nicht, wo der geschmackliche Unterschied liegen soll, denn der einzige Unterschied zwischen den Milchsäurekulturen im Haushalts-Sauerteig liegt meines Erachtens darin, dass die obligat heterofementativen Milchsäuren kein Kohlenstoffdioxid produzieren.

Viel entscheidener für den Brotgeschmack ist es, wie du deinen Sauerteig führst, also die TA, die Temperatur, sowie letztendlich die Reife.

Ich hoffe, dass ich einige deiner Fragen beantworten konnte und dich nicht zu sehr gelangweilt habe.
TheDailyBread
 


Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon sun42 » Di 29. Sep 2015, 20:53

@Nadine: ein sehr schöner Beitrag.

Der Säuregrad der Fermentation wird sicherlich durch TA und Temperatur stark beeinflusst. Am Geschmack haben allerdings die Mikroorganismen selbst entscheidenden Einfluss. Die Hefen (und Milchsäurebakterien) produzieren nicht nur Gärgase sondern auch verschiedenste Aromen. In der Bier und Weinherstellung hat dies großen Einfluss. Manche Bäcker setzen daher Weinhefen (sogenannte Aromahefen) auch zur Brotfermentation ein.

Bei der Sauerteigherstellung aus „Wildhefen“ kommen diese nicht aus der Küchenluft, sondern sind bereits in den Randschichten des Korns vorhanden. Man kann einen Weizenmehlbrei in der Fermentation auch „impfen“ und z.B. naturbelassenen Honig und Joghurt zusetzen. Es entsteht dann ein mit den Nektarhefen des Honigs dominierter und geschmacklich sehr milder Lievito Madre (LM).

Die im San Francisco Sourdough (SFS) enthaltenen Mikroorganismen erzeugen ein ausgesprochenes, fruchtiges und ebenfalls mildes Aroma. Man braucht allerdings unbedingt eine Starterkultur um den Mehlbrei entsprechend zu impfen. Teeträume.de ist eine brauchbare Quelle für diesen „SFS Reinzuchtsauer“.

Wen SFS näher interessiert findet “hier“ entsprechenden Lesestoff.
grüsse michael
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Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon OfenKante » Di 29. Sep 2015, 22:15

Ja, ein wirklich sehr shöner Beitrag!
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Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon AndréG » Fr 2. Okt 2015, 10:00

Hoi Nadine

Leider war meine Arbeitswoche ein bisschen Stressig, gerne hätte ich Dir schon viel früher für diese ausführlichen Erklärungen gedankt. Es ist mir nun einiges wesentlich klarer.

Auch vielen Dank an sun42, die Lektüre werde ich mir während meinen Ferien nöchste Woche zu Gemüte führen.

Danke nochmals und ganz liebe Grüsse aus der Schweiz.
AndréG
 
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Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon TheDailyBread » Fr 2. Okt 2015, 11:39

Hi Andy,

es freut mich das mein Beitrag dir weitergeholfen hat! :top
Falls du noch Fragen hast nur raus damit.
Ich habe meine Sauerteige lieb gewonnen und will sie nicht mehr missen!!!

@sun
Auch von mir ein Dankeschön für den Lesestoff :tL

Ich wünsche euch auch ein schönes Wochenende.
TheDailyBread
 


Re: Unterschiede bei Sauerteig-Kulturen

Beitragvon Mehli » Mi 28. Okt 2015, 20:37

Hallo,

hier eine sehr schöne Serie zu Sauerteigen:

https://www.youtube.com/watch?v=tH_qc0NiumU

In dieser Folge zeigen sie eine Sauerteigbibliothek in Belgien.

Es gibt auch noch andere Folgen. Entweder auf YouTube: "Puratos Group" (Keine Werbung von meiner Seite!) eingeben oder die Dokumentationen nacheinander ablaufen lassen.

LG,
Mehli
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