Hallo Collada!
Mir ging es zu Beginn ähnlich, wie dir. Mein neuer Sauerteig war endlich triebstark, das Brot schmeckt so neu und anders und besser, dass man den Sinn der Zuchthefe nicht mehr wirklich sieht.
Unterdessen backe ich wiederum nur selten reine Sauerteigbrote.
Der Sauerteig ist ja ein Komplex aus verschiedenen Mikororganismen. Da sollten zweierlei Sorten von Milchsäurebakterien drin sein, wobei jene, die Milchsäure produzieren in der Überzahl und die, die Essigsäure produzieren in der Unterzahl sein sollten. Dieses Verhältnis von Essig- zu Milchsäurebakterien ist das optimale Millieu für wilde Sauerteighefen. Die Säure hemmt die Bildung von unerwünschten Mikroorganismen und schützt dadurch die Hefen. Die Sauerteighefen sind also relativ anspruchsvoll. Sie wollen opimale Vermehrungstemperaturen von 25-28°C, wohingegen die Milchsäure produzierenden Bakterien lieber Temperaturen um die 28-35°C haben. Darunter, fühlen sich die (weniger erwünschten) Essigsäure produzierenden Bakterien wohler. Kurz: Es ist aufwändig und schwierig, dieses komplexe System, für gleichbleibende Backergebnisse im Optimum zu halten. Jeder kennt den eigenen Sauerteig am besten, weiss, wann etwas nicht stimmt, muss improvisieren können, um bei kleinen Veränderungen im Millieu dennoch ein akzeptables Brot aus dem Ofen zu ziehen. Mit anderen Worten: Da helfen nur eigene Fehltritte und Erfahrung. Darauf kann wohl kaum ein Rezeptbuch basieren. Denn diese sollten ja genau bei geänderten Verhältnissen, beispielsweise mit einem etwas triebschwächeren Sauerteig auch noch zuverlässig sein. Hier also der erste Grund, um noch zusätzlich Hefe zu verwenden: Zuchthefe stabilisiert die Mikroorganismen in deinem Teig.
Nun die weiteren Gründe für Vorteige:
- durch Vorteige erreichst Du vorallem mehr Geschmack und dies vielschichtiger als mit reinem Sauerteig. Ein Nullteig ersetzt dir das nicht, denn da hast du höchstens unerwünschte Fremdgärung drin. Um dies zu vermeiden, wird den Nullteigen gerne Salz zugegeben.
- einen zusätzlichen Vorteig bedeutet in der Regel, dass mehr Mehl vorweg verquollen wird. Das führt wiederum zu einer besseren Einbindung des Wassers. Dadurch kann die Teigausbeute erhöht werden und auch sonst ist damit eine bessere Frischhaltung gewährleistet. So viel mehr Sauerteig möchtest du vielleicht nicht verwenden, da dies dann zu saurem Brot führen könnte.
- Bei der Zugabe von pâte fermentée steht mehr der Geschmack im Vordergrund. Bei Poolish hingegen eher die Frischhaltung, Teigstruktur und die Krustenbildung.
- Beim Poolish wird Mehl mit gleich viel Wasser verquollen. Dies erlaubt die "Freilegung" von Gluten bildenden Proteinen und stabilisiert dadurch wiederum den Teig. Es sei denn, man lässt ihn überreifen, dann ist er einfach nur noch Geschmacksträger.
- Salzhaltige Vorteige hingegen, dienen der Regulierung der Hefe, hemmen ihre Aktivität und ihre Vermehrung.
Wie immer, lasse ich meine Ausführungen gerne ergänzen. Neben den tollen beiden Brotbackbüchern, Stefanie Herberths Hefe und Mehr, dem Grundlagenteil des Bourke Street Bakery Books, ist das Grundlagenbuch der Richemont Fachschule sehr informativ, wenn auch nicht für Hobbybäcker ausgelegt.