Re: Mehlsieb 180 my bzw. 0,18 mm
von benjamin » Mo 30. Aug 2021, 08:22
[quote="Roggenvollkorn"]Das Argument „Kleie zerschneidet die Glutenstränge“ hört man ja immer wieder.
Hat dies mal jemand getestet, wie auch immer? Ich kann das nicht ganz glauben und vermute eher, dass im gleichen Volumen einfach weniger Gluten ist und daher das Volumen kleiner wird.[/quote]
Wenn es sich um einen reinen Roggenteig handelt, also einen Teig in dem nur Roggenmehl enthalten ist, so hat der Teig kein Gluten, weil Roggen keine Glutenbildenden Proteine beinhaltet. Demzufolge kann auch Nichts die Glutenbildung behindern.
Die Backfähigkeit von Roggenteig beruht einzig und allein auf der Quellung von Schleimstoffen (wissenschaftlich Hydrokolloide genannt) welche bei Roggen in hoher Konzentration sowohl in der Schale als auch im Mehlkörper vorhanden sind. In anderen Getreiden sind diese zwar auch vorhanden aber (fast) ausschliesslich in der Schale und in geringerer Konzentration.
Die Schleimstoffe im Roggen sind sogenannte Arabinoxylane, das sind Xylose-Ketten mit Arabinose-Ãsten welche sich ähnlich wie die Glutenformenden Proteine im Weizen (sog. Gliadine und Glutenine) verhalten, also unter Aufnahme von Wasser, Ketten und Verästelungen bilden und damit den Teig zähflüssig machen. Man nennt sowas ein Hydrogel. Das Hydrogel verhindert daß sich das CO2 das bei der Fermentation entsteht verflüchtigt und bringt damit den Teig zum Aufgehen.
Anders als das Hydrogel Gluten, ist das Hydrogel aus Arabinoxylanen aber nicht elastisch. Aus diesem Grund lässt sich Roggenteig nicht dehnen und er geht daher nicht so gut auf wie Weizenteig.
Xylosen und Arabinosen sind übrigens Polysacharide, also Mehrfachzucker, in ihrer Bindung als Arabinoxylane aber für den Menschen unverdaulich, daher gehören diese zu den Ballaststoffen.
Interessantes Faktoid: Flohsamenschalen enthalten die gleichen Arabinoxylane wie Roggen. Man kann also jedem Teig der weder glutenbildende Proteine noch ausreichend gelier-fähige Schleimstoffe enthält mit der Zugabe von Flohsamenschalen zumindest die Backfähigkeit und Konsistenz von Roggenteig verleihen.
Warum geht also ein Roggenteig aus feinem Roggenmehl besser auf als ein Roggenteig aus groben Roggenmehl oder Roggenschrot? Die Antwort is geradezu simpel: Schwerkraft. Je kleiner die Partikel, desto leichter ist es für die sich bildenden Gasbläschen diese aus dem Weg zu schieben. Größere Brocken behindern die Blasenbildung und Blasenausdehnung mechanisch.
Ausserdem nehmen kleinere Partikel das Schüttwasser besser auf. Dies fördert die Gelbildung der Schleimstoffe denn diese findet nur in der Präsenz von ausreichend Wasser statt. Je kleiner die Partikel, desto besser die Gelbildung, je größer desto schlechter die Gelbildung.
Bei Weizenteigen (Weichweizen, Hartweizen, Dinkel, Emmer, Einkorn, Khorasan) und Weizenhybriden (Triticale und Tritordeum), welche ja glutenbildende Proteine enthalten ist es allerdings in der Tat so daß Kleie die Glutenbildung mechanisch behindern kann.
Auch hier gilt wiederum je größer die Partikel, desto größer ist diese Behinderung. Die größeren Partikel stellen eine mechanische Behinderung für die Glutenbildung dar und wie auch beim Roggenteig für die Blasenbildung und Ausdehnung, allerdings letzteres in geringerem Maße weil Gluten eben elastisch ist und dadurch die Expansion der Blasen stärker ist -- man stelle sich einen Gummiballon vor und vergleiche diesen mit einer löchrigen Plastiktüte.
Die Kleie stiehlt aber auch den glutenbildenden Proteine das Wasser das diese benötigen um Gluten zu bilden. Und da die größeren Kleiepartikel das Wasser langsamer aufnehmen so hat man beim Teigmachen den Eindruck daß der Teig genau richtig ist, wenn der Teig dann ruht und fermentiert fehlt Wasser weil in der Zwischenzeit diese Kleiepartikel das Wasser aufgenommen haben.
All diese Faktoren führen dann zu weniger Volumen bei der Teiglockerung.
Im übrigen führen die Schalenfetzen im Brot dazu das die Feuchtigkeit im Brot sich schneller verflüchtigt weil die Gesamtheit der Schalenfetzen eine relative große Oberfläche bietet und Wasser verdampft schneller je größer die Oberfläche ist.
Und letztens, verursachen diese größeren Schalenfetzen auch noch ein unangenehmes Mundgefühl beim Essen des Brotes.
Mann kann all diese Nachteile aber zu einem erheblichen Ausmaß vermindern oder sogar verhindern indem man das Vollkornmehl feiner macht.
Das Problem dabei ist aber daß die Kleie insbesondere bei ungespelztem Getreide wie Weizen sehr sehr zäh ist und die mechanische Energie welche benötigt wird um die Kleie ausreichend zu zerkleinern erhitzt das Mahlgut und ist damit für die übrigen Fraktionen des Korns nachteilig.
Die Lösung liegt in der separaten Behandlung von Kleie und Mehlkörper. Dazu muß man die Kleie vom Mehlköper und Keim trennen. Mit einer Walzenmühle beim Müller lässt sich die Kleie sehr schön sauber trennen aber für den Bäcker, und insbesondere den Hobby-Bäcker ist eine solche Mühle nicht nur unpraktisch sondern auch unerschwinglich.
Mit einer Steinmühle erhält man ein Vollkornmehl mit Partikelfraktionen bei der Kleie und Grieß in etwa gleicher Größe anfallen. Lediglich die allergrößten Kleiepartikel (etwa 700~800 µm und größer) lassen sich relativ gut vom Rest des Mehls trennen.
Die Fraktion mit einer Partikelgröße zwischen 300 und 700~800 µm hingegen enthalten eine gute Menge an Grieß. Generell, je kleiner die Partikel desto weniger Kleie und desto mehr Grießanteil.
Die grobe Fraktion (>700~800 µm) kann man getrost in einen Kaffeeröster geben und bei etwa 160 Grad Celsius fur 12-15 Minuten leicht rösten, in erster Linie um die Flüssigkeit in der Kleie zu verdampfen und damit die Kleie auszutrocknen, denn damit wird die Kleie spröder und lässt sich dann viel besser zerkleinern. ACHTUNG! Wenn man die Kleie zu stark röstet so daß sie dunkler wird so wird das Brot sehr dunkel (fast wie Schokoladenbrot) und es schmeckt dann nach Malzkaffee.
Die mittlere Fraktion (zwischen 300 und 700~800 µm) kann man aber nicht so behandeln weil diese einen erheblichen Grießanteil enthält. Diese kann man aber nachmahlen. Wenn man das in einer Steinmühle tut so wird der darin enthaltene Kleieanteil fast gar nicht berührt, aber der Grieß wird zunehmend kleiner so daß man nach einigen Mahl und Siebgängen mit einem 250 oder 200 µm Sieb dann fast nur noch Kleie übrig hat. Diese kann man dann getrost zu der groben Fraktion hinzugeben und gemeinsam rösten (oder genauer eigentlich austrocknen).
Man kann auch eine industrielle Gewürzmühle mit rotierenden Messern verwenden, dann darf man aber bei jedem Mahlgang nur für 10-20 Sekunden mahlen damit sich das Mahlgut mit dem verbleibenden Grieß und Mehlanteil nur geringfügig erwärmt um das resultierende Mehl nich kaputtzumachen. Mit einer solchen Mühle wird dann ein Teil der Kleie auch zerkleinert.
Wenn man dann am Ende hauptsächlich Kleie übrig hat und diese in einem Kaffeeröster ausgetrocknet hat, so kann man diese dann getrost in der Gewürzmühle malträtieren denn diese enthält fast gar keine Partikel des Mehlköpers mehr. Nach 3-5 Minuted in einer Hochgeschwindigkeits Gewürzmühle -- üblich sind 28-30 Tausend U/min und vier rotierende Messer so erhält man ein ganz feines Kleiepulver mit einer Partikelgröße unter 250-300 µm.
Man mischt dieses Pulver dann in das Mehl zurück und erhält so ein superfeines Vollkornmehl.
Ich habe mit dieser Methode sowohl Dinkel- als auch Weizenvollkornmehle nachbehandelt um extra-feines (99.7% < 595 µm) und super-feines (99.7% < 250 µm) zu produzieren.
Das Dinkelmehl importiere ich aus Deutschland (Dinkelhof Horstmann) und das Weizenmehl ist aus Hokkaido (Yokoyama Milling Co, Kitanokaori mit 14% Proteingehalt).
Die super-feinen VK-Mehle sind mit bloßem Auge und Fingergefühl von dunklen Mehltypen T1600 (AT) oder T150 (F) nicht unterscheidbar. Im Teig kann man aber ein paar kleine braune Pünktchen sehen weil die Kleieteile bei Wasseraufnahme aufquellen.
Die Teige haben eine unglaubliche Wasseraufnahmekapazität und durch den höheren Proteingehalt bilden sie ein Klebergerüst von phänomenaler Stärke und Elastizität.
Man gibt 85% Wasser hinzu und denkt daß der Teig wohl gerade richtig sei, aber nach einer Stunde Ruhezeit wenn er das Wasser besser aufgenommen hat merkt man daß man durchaus den Wasseranteil auf 95 oder gar 100% erhöhen kann.
Bei kalter Übernachtgare mit 85 und 90% Wasseranteil war der Teig am folgenden Tag so fest, daß er selbst nach einer Stunde Ruhe auf dem Tisch immer noch die rechteckige Form der Plastikbox hatte in der er über Nacht gereift wurde.
Die resultierenden Brote haben ein tolles Volumen, von Broten mit Auszugsmehlen kaum zu unterscheiden, wenn überhaupt. Die Krume ähnelt der eines Schweizer Ruchbrotes, und ist sehr locker und saftig. Beim Dinkelbrot ist es unmöglich am Brot festzustellen daß es sich um ein 100%iges Vollkornbrot handelt, und beim Weizenbrot ist lediglich die dunkle Farbe ein Indiz, nicht aber die Konsistenz und Saftigkeit.
So, in Zussammenfassung: Ein absolutes Ja. Es macht einen Riesen-Unterschied wenn man sich die Mühe macht das Vollkornmehl feiner zu machen. Es ist zwar mit erheblichem Aufwand verbunden, die Qualität des resultierenden Brotes ist es aber Wert.
Die Siebe die man hierzu benötigt sind
(1) 20 mesh -- 840 µm
(2) 24 mesh -- 710 µm
(3) 30 mesh -- 595 µm (für extra-feines VK Mehl)
(4) 60 mesh -- 250 µm (für super-feines VK Mehl)
Man könnte natürlich ein 35 mesh Sieb nehmen (500 µm) aber diese sind hier in Japan schwer zu finden, so habe ich mit einem 30er Vorlieb nehmen müssen.
[quote="Forticus"]Argh ... es war schon spät.
Ein 180 my Sieb gibt es als Laboreinrichtung unter der Bezeichnung Kressner Sieb.
Ich hätte die Möglichkeit, da beruflich dran zu kommen, aber auch dann kostet es gut dreistellig.
Zudem sind das Ringe mit Siebeinlagen und laut meiner GöGa mogelt sich ein Teil des Siebgutes am Rande durch.
Bleibt die Frage, ob jemand eines kennt, das aus einem Stück ist, und/oder Erfahrung damit hat.[/quote]
Für das Verfeinern von Vollkormehl benötigst Du vor allem Siebe mit größeren Maschenweiten um Kleie, Kleie/Grieß und Mehl voneinander zu trennen und dann die Kleie und Kleie/Grieß Fraktionen separate zu behandeln. Für Details siehe meinen ausführlichen Beitrag weiter oben.
Dazu empfehle ich zwei grobe Maschengrößen (20 und 24 mesh, entsprechend 840 und 710 mikron) für die grobe Kleiefraktion, und mittere und feinere Maschengrößen (30/35 und 60 mesh, entsprechend 595/500 und 250 mikron) für die Fein-Kleie/Grießfraktion.
Diese Maschengrößen sind hier in Japan noch handelsüblich (mit ein wenig Suchen), ich weiß aber nicht wie die Situation mit Sieben in Deutschland aussieht.
Ich habe mir bei Alibaba Express in China ein Test-Sieb Sortiment (für Chemielabore bestimmt) bestellt. Diese sind 20 cm Durchmesser. Es gibt dort aber auch größere Durchmesser. Der Hersteller bietet unzählige Maschengrößen an von mehreren Millimetern bis zu zweistelligen Mikron Größen. Ich habe dort 15 Siebe mit allen Standardgrößen von mesh 18 (=1mm) bis hin zu mesh 80 (=0.2mm) bestellt. Die Siebe kosten etwa 4-5 USD pro Stück. Mit Versand nach Japan kostet mich dieses 15 Siebe Sortiment etwa 100 EUR. Versand mit EMS, dauert etwa 2 Wochen.
Es gibt zahlreiche Hersteller dort. Einfach bei Alibaba Express nach "test sieve" suchen.
Grüße aus Japan
Benjamin
Zuletzt geändert von benjamin am Mo 30. Aug 2021, 12:56, insgesamt 2-mal geändert.
Respectus Panis — Respekt dem Brot