Re: Das Minimal-Maximal-Brot
von Thomas » Sa 27. Okt 2018, 21:20
Thema Toleranzen:
Die Brotrezepte, die ich begonnen habe abzubacken, ähneln einander. Die Mehlmenge schwankt zwischen 290 und 625 g, Wasser zwischen 230 und 450 ml, Salz reicht von 7 bis 12 gr., Hefe von 0,2 bis 10 gr. und die Ruhezeit von 1h bis 4 Tagen.
Soweit ich das bis jetzt beurteilen kann, kommt da immer dasselbe dabei heraus, egal, welche Anteile wie miteinander verwirkt werden. Nun, genauer: es sind Nuancen.
Es ist grundsätzlich schwierig zu beurteilen, da ich die Brote hintereinander backe und nicht parallel, sich nun über die Erinnerung an den Geschmack vergangener Tage heranzutasten und das aktuelle Mundstück zu vergleichen mit dem, was man vor Wochenfrist gegessen hat.
Schmeckt das jetzt besser oder schlechter? Schmeckt es überhaupt? Schmeckt es anders und wenn ja: Wie?
Hinzu kommt, dass dasselbe Brot nicht gleich mundet. Ich finde, frischwarm ist zwar lecker, aber ohne Aroma. Das kommt erst, wenn das Brot - gar tagesalt - auf Raumtemperatur fällt.
Dann spielt eine Rolle die Tageslaune, was ich dazu trinke, ob ich in Eile bin oder ganz genüßlich darauf herumkaue, weil ich eh nichts anderes zu tun habe. Manchmal nerven mitten in der Degustation die Kinder und alles Feingefühl ist beim Teufel. Allein schon beiläufiges Hunger- oder Völlegefühl trägt dazu bei, ob ein Brot gewinnt oder durchfällt.
Man müsste wie beim Wein mit Typmerkmalen arbeiten: Dieses Brot schmeckt nach Röstweizen, mit Anklängen an Haselnuss, Bitterklee und Brombeeren und schmeichelt beim Abgang mit Aromen von Honig, Malz und Heu.
Nun, so fein sind meine Geschmacksnerven gar nicht ausgebildet und zum anderen hindert mich die Frage: Was schmeckst Du eigentlich, wenn Du was schmeckst? am aktuellen Genuss, ohne dass ich sagen könnte, worin dieser eigentlich besteht.
Ich habe diesen Beurteilungszirkus, gar mit Bewertung nach Punkten daher ad acta gelegt. Nicht gänzlich, aber meistens esse ich bloß, ohne das, was ich da verspeise, kategorisieren oder in meine Allzeit-Besten-Liste überführen zu wollen.
Deswegen ist es mir müßig, beim Brot Perfektion einarbeiten zu wollen. Ich wüsste gar nicht, woran diese dann kenntlich sein sollte.
Man müsste ja Versuchsreihen starten. Allein schon die Backofentemperatur in 10 Grad-Schritten zu variieren und zu prüfen, welche Wirkung damit erzielt wird, heißt ja, nur einen einzigen Parameter zu verändern, einen von Hunderten, und diesen dann noch mit sämtlichen anderen wechselwirken zu lassen, da sind wir in einer Größenordnung von Dodezilliarden und Trigintillionen.
Wer soll das backen? Wer soll das essen?
Wir leben in einer Gesellschaft des Exzesses, von Superlativ und Exaltation: Kein ‚Tatort‘, der nicht ohne Monstrosität auskommt. So überreizt ist unser Bewußtsein, dass der Wahrnehmungsakt, wenn ihm nicht eine Mindestschwelle vorgelegt wird, in Blindheit versinkt. Deswegen geht diese Natur zugrunde. Sie ist zu still, zu unscheinbar. Sie schreit nicht, sie erschlägt einen nicht mit Dauerwerbesendungen, Hochglanzbroschüren und grellbunter Fassadenwerbung.
Deswegen interessiere ich mich für Brot. Brot ist so Mittelmaß. So nichtswürdig. So unscheinbar. So normal. Natürlich versucht man auch das Brot in eine Gelddruckmaschine zu verwandeln mit sämtlichen Marketingmaßnahmen, mit denen man schon bisher die Gehirne der Konsumenten infiltiert.
Ich finde, noch sperrt sich das Brot. Noch ist es nicht - obwohl man daran arbeitet - zur SuperDupaVitaminBombenMegaWunderHeilungsSchönmachAntiAlterungsDroge gehypt worden.
Noch, finde ich, findet sich im Brot eine Wahrheit.
Stand der Dinge:
Shokupan erledigt.
Arbeiterbrot erledigt.
Pain à l’Ancienne in der Gare.