Re: Das Minimal-Maximal-Brot
von Thomas » Di 6. Nov 2018, 00:22
Ich erlaube mir noch eine Antwort zu obenstehendem Beitrag von ‚moeppi‘:
Exkurs: Über die Leichtigkeit des Brotbackens
‚Im Schweiße Deines Angesichts …‘, so spricht schon die Bibel und nimmt Partei für das Schwere, das mühsam Erkämpfte und lässt nur das gelten, was unter Opfern hart errungen ist. Ja, das Leichte hat’s nicht leicht. Vom ‚Bruder Leichtfuß‘ bis zum ‚leichten Mädchen‘, also vom Hallodri bis zur Frau mit moralisch zweifelhafter Gesinnung nimmt unsere Kultur das Leichte nicht auf die leichte Schulter, sondern weist ihm das Abseits zu, das Abschlägige, Seichte und Verwerfliche: Als für zu leicht befunden landet das Leichte in der leichten Unterhaltung, nah beim Leichtsinn, im Flüchtigen des ‚vielleicht‘.
Ja, im Deutschen liebt man das Solide, das Schwere, Schachtelsätze und schwerste RoggenVollkornSauerteigbrote nicht unter fünf Kilo und rümpft die Nase über Leichtbrote südlicher Provenienz, Baguette und Ciabatta, leichtlebiges Volk dazu, das nicht vorsorgt mit Vielpfündern für schlechte Zeiten und Schulden macht obendrein.
Es sich’s leicht zu machen, gilt als schäbig. Anstrengung muss sein. Wir wollen die Probanden schwitzen sehen, gleich ob aus Angst oder Muskelstress. Was einem in den Schoß fällt, gilt als unwürdig. Welchen Neid etwa ruft in uns Gustav Gans hervor und welche Bewunderung Dagobert, der unermüdliche Racker des Reichtums.
Auch beim Brotbacken rümpfen manche die Nase. Was nicht ungeheuer kompliziert mit Vorteig, Ansatz, Brüh-, Koch- und Quellstücken in sekundengenauer Autolyse und mit terminierter Teigüberklappung in exaktem Geh-, Ruhe- und Formrhythmus nach Wochen endlich zur Vollendung gebracht worden ist, das kann nicht schmecken.
Das darf einem nicht schmecken. Nur das Schwierige, nur das, was wir unter großen Mühen, nach jahrelangem Üben und vielerlei Entbehrung und Verzicht endlich unser eigen nennen, dem gilt unsere Wertschätzung, das lassen wir gelten.
Unfähig, im Zufallenden, im Beiläufigen, gar im schon Vorhandenen auch nur eine Art von Restschönheit zu erkennen, erlauben wir uns tiefste Befriedigung nur nach Besteigung höchster Berge, nicht aber beim simplen Waldspaziergang. Da wir diese Gefühlswirtschaft unserer selbst so mit dem mühselig Beladenem, dem teuer Errungenem verquickt haben, errichten wir de facto eine Selektionsgrenze gegenüber dem Leichten. Es gilt uns nichts. Es befriedigt uns nicht, man macht damit kein Renommee, wie babyleicht gewinnt man dabei keinerlei gesellschaftliche Achtung, sondern gehört zu denen, die es sich allzu leicht machen, also praktisch zu Räubern, Tagedieben und anderem Gesindel.
Nun, was ist die Folge? Lauter unglückliche Menschen.
Denn wenn mein Glück proportional mit der Schwierigkeit der Aufgabenstellung steigt, heißt das nicht nur, das ich eine Kultur des Exzesses errichte, der Exaltiertheit, sondern ganz banal, dass ich mich über die kleinen Dinge des Alltags nicht mehr freuen kann. All das, was mir ohne mein Zutun zufällt, was mir geschenkt wird, das erheitert mich nicht nur nicht, sondern es fällt sogar unter die Schwelle der Wahrnehmung. Ich sehe das gar nicht mehr.
So ein Nicht-Knet-Brot etwa ist bei vielen Hobbybäckern derart unter der Würde der perfekten Backkunst, als würde man, nachdem man endlich die Hürden der Sauerteigerstellung erklommen hat, auf alle Hefepopelei nur noch mit gerümpfter Nase blicken, als einer Anfängerlaune, der man längst entwachsen ist, sittlich gereift am Teig.
Allein sich den Gedanken des ‚beschenkten Menschen‘ zu erlauben, stellt viele vor unerhörte Probleme: Dass ich nichts tun muss, um glücklich zu sein, dass ich mich erfreuen kann, an dem, was eben eintrudelt, dass mir Kaviar so viel gilt wie eine Butterbreze, dass keine Weltreise über dem Gang um den Hausblock steht, und der gewärtige Tag nicht für den kommenden gestrichen werden muss, das ist für viele Gemüter unerhörte Einsicht. Sie erlauben der Zeit, jede Gegenwart zu korrumpieren und also rackern sie sich ab. Schuften, eilen, streben, hadern, mühen, plagen sich und schieben Genuss in komplizierte Höhen, einer Molekularküche gleich, die den Apfel nur als neu erfundenes Kompositum gelten lässt, in maximaler Denaturierung also und nur daraus ungeheure Befriedigung zu ziehen vermag.
Wenn einem der Montblanc so viel gilt wie der Hügel hinterm Haus, heißt das nun nicht, dass man ihn nicht mehr besteigt; eher ist es so: Wenn Montblanc, dann Montblanc; wenn Hügel, dann Hügel.
Mit Backwaren ist das genauso: Es geht nicht um die Hierarchie des perfekten Brotes und die damit verbundene Herabwürdigung des Imperfekten. Man spielt nicht Sauerteig gegen Hefe aus, wenn man sich selbst nicht darin gewichtet und parteiisch einer vermeintlichen Elite zuschlägt.
Wie kolossal kann man sich doch freuen an einem primitiven Brot, wenn man seine Freude nicht eitel ans vermeintlich Gewichtige hinkonditioniert hat. Denn Freude ist autonom, sie fragt nicht um Erlaubnis und hängt niemals von Kategorien des Vordefinierten ab. Man kann sie nicht beeindrucken und nicht herbeibacken.
Kleine Kinder nuckeln noch an ihrer Breze, als wäre darin höchstes Glück verborgen. Wie schnell sich doch die Ansprüche ändern. Wer das Geringste nicht verschmäht, ist für das Höchste nicht verloren.
Schließen wir mit einer Zen-Anekdote: Kommt ein Mann zum Bäcker und sagt: ‚Gib‘ mir das beste Stück Brot, das Du hast!’ Meint der Bäcker: ‚Jeder Laib Brot ist der beste Laib Brot.‘